Wenn das Über-Ich zu laut wird: Wie Freuds Strukturmodell psychisches Leid erklären kann – und wie kognitive Verhaltenstherapie hilft

 

by Heilpraktikerpraxis für Psychotherapie Ulrike Mehmood

in psychische Gesundheit verbessern, Stressbewältigung, Uncategorized, Verhalten verstehen

Einführung: Die Last innerer Konflikte

„Ich weiß doch, dass es irrational ist, aber ich kann nicht aufhören, mich schlecht zu fühlen.“ – Sätze wie diese hören Psychotherapeutinnen oft von ihren Patientinnen. Dahinter verbirgt sich meist mehr als ein bloßes Unbehagen: Es sind tiefe innere Konflikte, die den Alltag beeinträchtigen, das Selbstwertgefühl untergraben und Beziehungen belasten können. Um diese Konflikte besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf ein psychodynamisches Modell, das Sigmund Freud vor über hundert Jahren entwarf – das sogenannte Strukturmodell mit den Instanzen Es, Ich und Über-Ich. Dieses Modell liefert bis heute hilfreiche Erklärungen für die Entstehung seelischer Spannungen – und eine wertvolle Grundlage für die psychotherapeutische Arbeit, insbesondere in der kognitiven Verhaltenstherapie.

Die drei Instanzen: Es, Ich und Über-Ich – verständlich erklärt

Freuds Strukturmodell beschreibt die Psyche als Zusammenspiel dreier Instanzen:

1. Das Es – unsere Triebnatur Das Es ist der älteste Teil unserer Psyche. Es enthält angeborene Bedürfnisse und Triebe, wie Hunger, Durst, Sexualität, Aggression, Nähebedürfnis oder den Wunsch nach Anerkennung. Es folgt dem Lustprinzip: „Ich will, was sich gut anfühlt, und zwar jetzt.“

Beispiel: Ein Kind will ein Spielzeug sofort haben – es schreit, weil es den Wunsch nicht kontrollieren kann.

Die Befriedigung der Triebe war überlebensnotwendig: Ein Baby, das nicht schreit, wenn es Hunger hat, würde verhungern. Doch in der sozialen Realität stößt das Es schnell auf Grenzen.


2. Das Ich – Vermittler zwischen Wunsch und Wirklichkeit Das Ich entwickelt sich aus dem Es heraus, wenn das Kind mit der Realität konfrontiert wird. Es steht zwischen innerem Wunsch und äußerem Muss. Es folgt dem Realitätsprinzip und muss lernen, Triebwünsche aufzuschieben oder sozialverträglich zu erfüllen.

Beispiel: Ein Jugendlicher verspürt Wut auf seinen Lehrer, äußert sie aber in einem Tagebucheintrag statt in einer aggressiven Handlung.

Das Ich muss ständig vermitteln – zwischen den Impulsen des Es, den Normen des Über-Ichs und den Anforderungen der Realität.


3. Das Über-Ich – das verinnerlichte Gewissen Das Über-Ich entsteht durch die Verinnerlichung elterlicher, gesellschaftlicher und kultureller Werte. Es umfasst Gebote, Verbote, Moralvorstellungen und Ideale. Es sagt: „So solltest du sein.“

Beispiel: Ein Erwachsener verspürt ein schlechtes Gewissen, wenn er einen Tag krankmacht, obwohl er erschöpft ist – weil seine Eltern Leistung über alles stellten.

Das Über-Ich ist wichtig für ein funktionierendes Miteinander. Es motiviert uns zu Fürsorge, Rücksicht und Integrität. Doch wird es zu streng, inkonsequent oder widersprüchlich entwickelt, kann es zur inneren Qual werden.

Wie ein übermächtiges Über-Ich entsteht – und was es anrichten kann

Die Ausprägung des Über-Ichs hängt stark von der frühen Erziehung und Beziehungsgestaltung ab. Kinder, die mit überstrenger, inkonsequenter oder stark leistungsorientierter Erziehung aufwachsen, entwickeln häufig ein besonders rigides oder widersprüchliches Über-Ich.

Mögliche Ursachen:

Überstrenge Erziehung: Jede Abweichung wird sanktioniert. Kinder lernen: Nur wer perfekt ist, ist liebenswert.

Inkonsistenz: Eltern reagieren mal streng, mal nachlässig – das Kind erlebt Verwirrung und Unsicherheit.

Kritik statt Zuwendung: Lob bleibt aus, Fehler werden betont. Kinder entwickeln Selbstzweifel und ein chronisch schlechtes Gewissen.

Überforderung: Eltern erwarten „kleine Erwachsene“ – kindliche Bedürfnisse werden abgewertet oder ignoriert.


Diese frühen Erfahrungen hinterlassen Spuren in der inneren Struktur. Das Über-Ich wird zu einem ständigen inneren Kritiker. Betroffene erleben sich oft als nie gut genug, empfinden starke Schuldgefühle oder haben Angst, zu versagen.

Psychische Störungen als Folge eines dysfunktionalen Über-Ichs

Ein überstrenges, inkonsistentes oder widersprüchliches Über-Ich kann zu verschiedenen psychischen Störungen beitragen:

Depression: Gefühle der Wertlosigkeit, Schuld und Hoffnungslosigkeit werden durch übermäßige Selbstkritik verstärkt.

Angststörungen: Versagensängste, soziale Phobien oder generalisierte Sorgen entstehen durch internalisierte Leistungserwartungen.

Zwangsstörungen: Übermäßige Gewissenhaftigkeit, Reinigungs- oder Kontrollzwänge können aus einem übermächtigen Über-Ich resultieren.

Essstörungen: Der Körper wird zur Projektionsfläche innerer Konflikte zwischen Kontrolle, Selbstwert und Idealen.

Persönlichkeitsstörungen: Besonders bei der zwanghaften oder ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung spielt ein rigides Über-Ich eine zentrale Rolle.

Fallbeispiel 1: Sarah (34) – „Ich darf nicht schwach sein“

Sarah wächst mit einem Vater auf, der Disziplin über alles stellt. Weinen ist verboten, Fehler sind Schwäche. Heute ist Sarah erfolgreich, aber innerlich leer. Jeder Fehler raubt ihr den Schlaf. Selbst an freien Tagen kann sie nicht entspannen – das schlechte Gewissen treibt sie zur nächsten Aufgabe.

In der Therapie wird deutlich: Ihr Über-Ich wiederholt die strengen elterlichen Stimmen. Ihr Ich versucht ständig zu vermitteln – zwischen dem Wunsch nach Ruhe (Es) und der inneren Forderung nach Leistung (Über-Ich). Die Folge: chronische Erschöpfung, depressive Episoden.

Fallbeispiel 2: Marco (29) – „Ich weiß nie, ob ich genüge“

Marcos Mutter war liebevoll – aber unstet. Mal lobte sie überschwänglich, mal war sie abweisend oder überkritisch. Marco entwickelte ein widersprüchliches Über-Ich: Ein Teil fordert Höchstleistung, ein anderer flüstert ständig Zweifel. In Beziehungen hat Marco Angst, nicht zu genügen. Jede Kritik empfindet er als Angriff.

In der Therapie lernt Marco, seine inneren Stimmen zu unterscheiden – und dem Ich mehr Raum zu geben. Mit kognitiver Umstrukturierung verändert er Schritt für Schritt die tief verankerten Bewertungen über sich selbst.

Die Rolle der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT)

Die KVT bietet vielfältige Ansätze, um mit den Folgen eines dysfunktionalen Über-Ichs zu arbeiten. Auch wenn sie aus einer anderen theoretischen Tradition stammt, lassen sich viele psychodynamische Konflikte kognitiv-behavioral behandeln.

Zentrale therapeutische Strategien:

  • Psychoedukation: Verstehen, wie innere Anteile (Es, Ich, Über-Ich) wirken, kann entlasten und motivieren.
  •  Gedankenprotokolle: Klient*innen lernen, überkritische Gedanken zu erkennen, zu hinterfragen und zu verändern.
  • Kognitive Umstrukturierung: Negative automatische Gedanken („Ich bin faul“) werden durch realistische, mitfühlende Gedanken ersetzt („Ich habe mir Erholung verdient“).
  • Schematherapie-Elemente: Arbeit mit inneren Anteilen („der Antreiber“, „das verletzte Kind“) hilft, das Über-Ich zu entmachten.
  • Expositionsübungen: Erlauben von „Verbotenem“ (z. B. einen Tag nichts leisten) unter therapeutischer Begleitung hilft, Schuldgefühle zu relativieren.
  •  Achtsamkeit und Selbstmitgefühl: Neue Haltung gegenüber sich selbst aufbauen, jenseits von Bewertung und innerer Strenge.

Fallbeispiel 3: Elena (42) – „Ich kann niemandem genügen“

Elena leidet unter einer zwanghaften Persönlichkeitsstruktur. Sie plant, kontrolliert, funktioniert – bis zur völligen Erschöpfung. In ihrer Kindheit wurde Leistung geliebt, Emotionen waren störend. Ihr Über-Ich ist erbarmungslos.

In der KVT lernt Elena, innere Verbote zu identifizieren („Du darfst nicht versagen!“) und alternative Überzeugungen zu entwickeln („Ich darf Fehler machen“). Durch Verhaltensexperimente (z. B. Aufgaben delegieren, ohne sich zu rechtfertigen) erlebt sie, dass sie dennoch akzeptiert wird.

Fazit: Versöhnung mit dem inneren Kritiker

Freuds Strukturmodell erklärt auf eindrückliche Weise, wie innere Konflikte entstehen – und warum manche Menschen besonders stark unter Selbstzweifeln, Schuld oder Angst leiden. Ein übermächtiges Über-Ich ist oft das Echo früher Beziehungserfahrungen. Doch die gute Nachricht lautet: Diese inneren Strukturen lassen sich verändern.

Die kognitive Verhaltenstherapie hilft, übertriebene Ideale und innere Kritiker zu entlarven, neue Denkweisen einzuüben und sich selbst mit mehr Mitgefühl zu begegnen. So kann aus einem harten inneren Richter ein unterstützender Begleiter werden – und aus einem Leben im ständigen Soll ein Leben im Sein. Gerne unterstütze ich dich in meiner Heilpraktikerpraxis für Psychotherapie in Düsseldorf und Mönchengladbach genau an deinen Themen zu arbeiten. 

Literatur & Quellen:

Freud, S. (1923). Das Ich und das Es. GW XIII.

Beck, J. S. (2011). Kognitive Verhaltenstherapie: Grundlagen und Praxis. Springer.

Young, J. E., Klosko, J. S., & Weishaar, M. E. (2005). Schematherapie: Ein praxisorientiertes Handbuch. Beltz.

Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Hogrefe.

Kirsch, I. (2010). The Emperor’s New Drugs. Basic Books.
 


 

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